Mut tut gut (Teil 2)

Besonders in den ersten Lebensjahren werden die Ansichten über sich selbst und die Welt gebildet. In dieser Zeit ist Ermutigung besonders bedeutsam, damit Kinder selbstbewusst und positiv durchs Leben gehen können.

Im ersten Teil (Ausgabe März 2020) ging es darum, Entmutigungssituationen zu erkennen und zu vermindern. In dieser Ausgabe möchte ich ein paar Impulse geben, was Eltern tun können, um Kinder gezielt zu ermutigen.

  • Kinder fühlen sich angenommen und wertvoll, wenn sie das Gefühl haben, dass Eltern gerne Zeit mit ihnen verbringenEin Satz wie „Ich habe Lust, etwas mit dir zu unternehmen. Hast du eine Idee?“ bringt ihre Augen zum Strahlen. Besonders für Kinder mit Geschwistern ist es wertvoll, wenn sie regelmäßig Alleinzeit mit Mama oder Papa verbringen können, selbst wenn es nur 15 Minuten am Tag sind. Kinder spüren: Ich bin wertvoll und wichtig.
  • Erwachsene richten sich oft an Kinder, um etwas zu erreichen oder in Erfahrung zu bringen. Stellen Eltern dann noch „verhörende“ Fragen, wie „Wie war es in der Schule? Was habt ihr gemacht? Habt ihr Hausaufgaben?“ machen Kinder und Jugendliche oft zu. In einem wirklichen Gespräch sollte es darum gehen, die Sicht, Gedanken und Ideen des Kindes zu hören. Um ein Verhör zu vermeiden, könnten wir zunächst von uns berichten: „Heute war schönes Wetter, da habe ich mein Brot im Park gegessen.“ Vielleicht steigt das Kind ein: „Ich war heute auch draußen.“ Daraus kann ein echtes Gespräch entstehen. Für eine gute Verbindung ist es wichtig, die volle Aufmerksamkeit zu geben: Die Arbeit kurz ruhen lassen, das Smartphone weglegen, zeigt: Ich bin ganz bei dir und höre dir zu. Ein schönes Gefühl.
  • Kinder wollen zur Gemeinschaft gehören und etwas beitragen. Zwar dauert bei den Kleinen alles etwas länger, dafür fühlen sie sich gesehen und wertvoll, wenn sie mitmachen dürfen. Manchmal müssen wir etwas unterstützen: Ist die Schublade zu hoch, legen wir den Besteckkasten auf den Boden. Wird das Besteck anders einsortiert als wir es gerne hätten, halten wir das aus und richten den Blick auf den Beitrag, den das Kind leistet. Größere Kinder können Aufgaben übernehmen, die für die ganze Familie wichtig sind. Das eigene Zimmer aufräumen gehört nicht dazu, wohl aber den Hund füttern, die Blumen gießen, den Müll rausbringen, fegen oder Tisch decken. Jedes Familienmitglied hat eine Aufgabe und Geschwister wechseln sich ab, damit nicht immer das gleiche Kind sich um den Hund kümmern darf.
  • Die Meinung von Kindern wichtig nehmen/ Mitbestimmen lassen. Welchen Kuchen wollen wir backen? Wohin soll der Ausflug gehen? Was machen wir in den Ferien? Die Vorschläge der Kinder haben genauso viel Wert, wie die der Erwachsenen. Dann wird diskutiert und abgestimmt. Das Kind spürt: Deine Meinung ist wichtig und wird gehört, egal wie alt du bist. Zugehörigkeitsgefühl und demokratisches Verständnis werden damit gefördert.
  • Bei den ersten Worten und Schritten sind Eltern geduldige Begleiter*innen. Je älter die Kinder werden, desto mehr Druck entsteht: Erfüllt mein Kind die Voraussetzungen für die Schule? Gibt es Entwicklungsfenster, die wir nicht verpassen dürfen? Diesen Druck spüren auch die Kinder. Druck rausnehmen und darauf vertrauen, dass das Kind seinen Weg machen wird, kann beide Seiten entspannen. Besonders ermutigend ist es, wenn wir das selbständige Lernen unterstützen. Zwei Beispiele:
    • Ein Kind versucht sich die Hose anzuziehen und landet dabei immer mit beiden Füßen im gleichen Bein. Frust entsteht. Wenn Papa sagt: „Schau mal, den Fuß, den ich kitzle, nimmst du zurück und tust ihn ins andere Bein. Genau. Du hast es geschafft und ich musste kaum helfen.“ wirkt das ermutigend.
    • Ein Kind arbeitet ewig an den Knöpfen der Jacke und kriegt sie endlich alle zusammen. Wenn Papa sagt: „So schief geknöpft kann ich mit dir nicht einkaufen gehen.“ ist es entmutigend. Stattdessen kann Papa sich selbst sagen: „Doch, ich gehe so mit dir in den Laden. Ich halte das aus, weil mir Ermutigung wichtig ist.“ und den tollen Entwicklungsschritt des Kindes sehen, das gerade übt, selbständig zu werden.
  • Häufig versuchen Erwachsene, negative Gefühle vor Kindern zu verbergen. Da kleine Menschen jedoch sensible Antennen haben, merken sie, dass etwas nicht stimmt. Ohne Erklärung beziehen sie es auf sich und werden unsicher. Vielleicht testen sie dann stärker unsere Grenzen, weil sie Klarheit brauchen. Gut ist es, Kindern Gefühle zuzutrauen. Ehrlich zu sagen, wenn wir schlecht geschlafen haben, uns der Job stresst oder der Kopf schmerzt. So weiß das Kind was los ist und dass es nicht schuld ist. Vielleicht hat es sogar Verständnis und nimmt Rücksicht. Ein weiterer Pluspunkt: Kinder lernen über eigene Gefühle zu sprechen, wenn Erwachsene es ihnen vorleben.

Was haben Eltern davon, Kinder zu ermutigen?

Ermutigte Kinder haben eine gute Chance, eine positive Meinung über sich selbst zu bilden und trauen sich mehr zu. Kindern, die sich etwas zutrauen, können Eltern mehr Eigenverantwortung übertragen, sie mehr loslassen. Das verhilft zu mehr Gelassenheit im Alltag.

Kinder, die sich zugehörig fühlen, leisten oft freiwillig einen Beitrag zur Gemeinschaft. Das kann den Familienalltag entlasten.

Ermutigte Kinder brauchen seltener negative Strategien, um Aufmerksamkeit zu bekommen, weil sie sich gesehen fühlen und nicht um ihren Platz in der Familie kämpfen müssen. Sie sind also weniger „schwierig“.

Das gilt auch umgekehrt. Kinder, die gerade „schwierig“ sind, brauchen Ermutigung besonders, denn sie fühlen sich nicht ausreichend gesehen. Ihr Selbstwertgefühl ist ins Wanken geraten. Hier kann Ermutigung ein Weg sein, um die Verbindung wieder herzustellen und ins Gleichgewicht zu kommen.

Nicht zuletzt können wir Kinder, die fähig sind, die Herausforderungen des Lebens zu meistern, guten Gewissens irgendwann ihren eigenen Weg gehen lassen.

Mut tut einfach gut, Kindern und Erwachsenen!

Jessica Rother