Die Anomalie in der Pandemie

oder wie Social Distancing unsere Sexualität befreit

Es ist Sontag morgen. Ich sitze im Gras am Ufer eines Flusses und genieße die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Dabei schaue ich aufs Wasser und denke nach. Ich soll diesen Artikel schreiben und es will einfach nicht so richtig fließen. Ich habe meine ganz eigene Meinung über die Anomalie in der Pandemie und meine ganz eigenen Gedanken und Theorien, wie sie Social Distancing auf Körperlichkeit und Körperbewusstsein, auf unsere Lust, auf Nähe und Sexualität auswirkt.
Und ich bin nicht sicher, wie viel ich dir davon zumuten kann und will. Schließlich stehe ich für Offenheit und Neugierde. Für gegenseitige Akzeptanz und Annahme. Und ich wünsche mir, dass jeder Mensch sich aufmacht, seine ganz eigene Wahrheit zu entdecken und zu entwickeln. Und ich wünsche mir, dass wir alle jedem seine/ihre ganz eigene Wahrheit zugestehen.

Deshalb ist es mir wichtig, dass du weißt, dass ich dich nicht von meiner Wahrheit überzeugen möchte. Vielmehr geht es mir darum, dass du in der Begegnung mit mir, mit diesem Text, dir selbst begegnest, und deine ganz eigene Wahrheit findest. In meiner Welt geht es nicht mehr um richtig oder falsch. Es geht um mehr. Es geht darum sich selbst zu entdecken, anzunehmen und zu akzeptieren. Mit allen Ängsten, Herausforderungen und Sorgen. Aber auch mit aller Lust, Freude und Lebendigkeit. Mir geht es darum eine Projektionsfläche zu bieten, um sich selbst zu erkennen. Ich will keine Zustimmung. Und ich will dich nicht überzeugen. Ich möchte lediglich eine Sichtweise aufzeigen, damit du dich selbst findest. Klarheit für dich bekommen kannst, um schließlich liebevoll und friedlich mit dir und anderen zu sein.

Renommierte Astrologen hatten es für dieses Jahr vorausgesagt. 2020 wird ein ganz besonderes Jahr. Wie sich diese Besonderheit bemerkbar machen würde, konnte keiner ahnen. Doch heute wissen wir mehr. Wir haben erlebt, wie ein unsichtbares Etwas in kürzester Zeit die Welt lahm legt und gleichzeitig auf den Kopf stellt. Und wir erleben immer noch, wie sich die Welt seitdem verändert und wie Menschen tief bewegt und berührt sind. Plötzlich erleben wir die Auswirkung fehlender (sozialer) Kontakte und erkennen deren wahre Bedeutung. Wir spüren am eigenen Leib, wie es ist, allein zu sein. Oder sich nur mit einer begrenzten Anzahl von Menschen zu treffen. Wir erleben wie essential, persönliche Nähe und Körperkontakt sind. Für alle. Egal ob Jung oder Alt. Frau oder Mann. Anders als beim HIV Virus sind nicht nur vermeintliche Randgruppen betroffen. Jetzt geht es wirklich alle etwas an.

Entgegen vieler Meinungen glaube ich, dass die Gefahr, die von diesem Virus ausgehen soll, ein Teiler unserer Befreiung ist. Der Mensch, die Lust und die Sexualität, werden Coronagewinner sein oder sind es längst. Denn Menschen müssen äußerlich auf Abstand gehen und rücken innerlich wieder näher zusammen. Wir Menschen erkennen, was wirklich wichtig ist und kommen zurück zum Kern. Zu uns. Zum Menschen. Denn der Mensch ist ein Mensch, ist ein Mensch ist ein Mensch. Und was macht uns zum Menschen? Unser Körper, unsere Sinne, unser Sinnlichkeit und die damit verbundene Freude und Lebendigkeit. Der Körper macht uns Menschen zu Menschen und ermöglicht uns, mit uns selbst und anderen in Kontakt zu sein.

Und der Körper ist das, was bleibt, wenn alles im Außen weg fällt. Wenn du alleine zu Hause sitzt, bleibst du mit deinem Körper zurück. Und mit dir, dein größtes Lustzentrum. Freihaus. Immer dabei. Du kannst es weiter ignorieren oder dich ihm endlich zuwenden. Ob du einen Partner hast oder nicht. Du kannst dich weiterhin mit deiner Angst beschäftigen oder dich deiner Lust und Freude zuwenden. Sie ist dir angeboren und du hast sie immer dabei. Du trägst sie in dir. Manchmal tief vergraben, manchmal sehr offensichtlich.

In einer Zeit in der Körperlichkeit im Außen plötzlich eine Gefahr ist und die Menschheit lähmt, hat sie die Chance sich innerlich selbst zu befreien. Menschen werden sich im Außen fern. Doch was passiert im Innen? Schwindet die Lust, nur weil wir uns nicht mehr berühren dürfen? Haben wir weniger Verlangen, nur weil wir weniger Menschen treffen? Sind wir keine sexuellen Wesen mehr, nur weil wir Abstand halten müssen? Oder spüren wir endlich, was uns wirklich fehlt?

In meinem Umfeld erwachen viele Menschen und spüren ihr Verlangen. Ihre Lust. Sie beginnen offen darüber zu sprechen, öffnen sich mehr und mehr und teilen sich mit. Tauschen sich aus. Sie suchen alternative Wege. Verbinden sich mit Menschen die ihre Sehnsucht teilen. Mehr und mehr Menschen entdecken die Möglichkeit sich energetisch zu verbinden, anstatt nur körperlich. Dadurch erhält Verbindung eine neue Dimension. Cybersex wird gesellschaftsfähig und definiert safer sex neu.

Junge Mädchen öffnen sich für die Normalität von weiblicher Masturbation. Probieren sich selbst aus, anstatt sich zur Verfügung zu stellen. Sie sehen die Chance, endlich zu sich und ihren Körpern und ihrer Lust zu stehen, sie zu erforschen und zu genießen. Freudvoll. Schamlos. Befreit. Sich selbst entdecken. Die Zeit nutzen. Die Möglichkeiten nutzen, anstatt sich einzuschränken und sich weiter hinter Masken zu verstecken. Das Kontaktverbot ermöglicht die Befreiung der eigenen Lust und Sexualität in einer neuen Form und bringt sie auf eine höhere Stufe. Durch das Kontaktverbot hat der Mensch die Chance seine körperlichen Bedürfnisse und seine Sinnlichkeit noch intensiver wahrzunehmen, zu entdecken und neu zu leben. Nutzt du schon die Zeit, um nach innen zu spüren und dich und die Unschuld deiner wahren Lust zu entdecken?

Die Sonnenstrahlen werden stärker und wärmen meinen Oberarm. Mit der kleinen Pfeife in meinem Mund töne ich eine 528hz Frequenz. Dadurch lande ich mehr und mehr hier bei mir und verbinde mich mit meiner Liebesenergie. Ich stelle mir vor, wie ich durch meinen Atem ein Stück meiner Liebe in die Welt sende und dich und dich und dich, und vielleicht einen kleinen Teil deiner unschuldigen Lust streife und erreiche. Mein Stück Anomalie in der Pandemie.

Jasmin Bühler